Broken Music Vol. 2
70 Jahre Schallplatten und Soundarbeiten von Künstler*innen
17.12.2022 bis 14.05.2023
YANEQ – Rufen und Raushaun (2022)
Grzegorzki Records
Vinyl LP Portrait: Oliver Mark
Broken Music Vol. 2
70 Jahre Schallplatten und Soundarbeiten von Künstler*innen
17.12.2022 bis 14.05.2023
YANEQ – Rufen und Raushaun (2022)
Grzegorzki Records
Vinyl LP Portrait: Oliver Mark
October 7, 2021 – November 14, 2021
Autoren kennen das, die Angst vor dem leeren Blatt, das vorwurfsvolle Blinken des Cursors, der auf der Stelle wie festgefroren verharrt. Maler kennen ihn auch, den Horror vacui, die Panik angesichts der Leere einer unberührten Leinwand. Fotografen eher nicht, schliesslich zeigt der Sucher stets ein Gegenbild. Muss ja nicht schön sein, aber ist eben da – leerer Akku oder vergessene Verschlusskappe mal außen vorgelassen. Sowas passiert einem seriösen Daguerreotypisten natürlich nicht.
Oliver Mark nun packt die Leere bei den Hörnern – und das mitten in den Tempeln der Kunstehrfurcht. An den Orten, in denen gewöhnlich die Blockbuster der Kunstgeschichte zur gefälligen Betrachtung altarisiert an den Wänden hängen – Museen und Galerien. Das Gemälde steht im Zentrum der Fluchtlinie, auf Augenhöhe der Betrachter, meist in ornamentschweren Rahmen, als würde das Auge nicht schon genug Blickführung erfahren. Das Bild wird dem Betrachter aufgezwungen. Flughafenarchitekturen ähnelnd endet der Weg des Besuchers unweigerlich im Duty-free-Shop des Kunstkanons, das Kunstwerk an sich füllt das Wahrnehmungsspektrum. Man kann eigentlich nicht vorbeischauen.
Mark aber schaut vorbei, er positioniert seine Kamera auf Fussbodenhöhe und knipst aus Froschperspektive, einzig sein Portemonnaies als Stativ nutzend. Die Entnahme oder Zugabe von Geldstücken bestimmt den Neigungswinkel des Objektivs und damit das Blickfeld. Wenn das nicht eine messerscharfen Analyse des Kunstmarkts ist, eine beißende Kritik an der Deutungshoheit des Geldes, dann fresse ich eine kritische Gesamtausgabe von Bazon Brock. Oder, Mark ist einfach nur gestolpert – und fand sich unvermittelt wieder in der Nischenwelt des Mikroversums wie der atomar schwindende Protagonist in Jack Arnolds Filmklassiker der 1950er Paranoia The Incredible Shrinking Man. Oder, Mark hat einfach nur Rücken und macht das Beste aus seiner Situation, bevor er es zum Osteopathen schafft. Aber ich schweife ab.
Egal wie er zu seinem Blick gekommen ist, die Perspektive seiner Fotografien verändert Wahrnehmung. Plötzlich rücken Details ins Rampenlicht: Steckdosen, Schutzgitter, Luftbefeuchter, Feuerwehrschläuche, Notausgangsschilder, Scheuerleisten, Abstandhalter – und Leere. Die Unaufgeregtheit monochromatisch getünchter Wände, rissiger Kanten, dunkler Wände, die nur Ausschnitte der präsentierten Bilder preisgeben, für die die Wand gemacht wurde. Statt im Motiv von de Chirico zu sinnieren, verliere ich mich im Capriblau der Wandfarbe, die das Foto dominiert. In der Chillout-Zone des Pantone-Raves einfach mal nichts erkennen, die Gravitas des Gemäldes ignorieren, nur Leere mit den Augen ertasten.
Das hat nicht nur einen meditativen Effekt, es rekontextualisiert Kunst. In dem Moment, wo man sich der Stützräder der Präsentationsmodi gewahr wird – die Stellwände, Absperrungen, Bewegungsmelder, Sitzbänke – geht Benjamins Aura des Originals flöten. Das Kunstwerk erscheint als Gebrauchsgegenstand neben anderen: hier Steckdose, dort Renaissance. Man erkennt wieder, dass Kunst ähnlich wie Papiergeld funktioniert: Ihre Artefakte werden mit Bedeutung aufgeladen, ihr Materialwert ist oft genug gering. Ihr Schatz liegt in der gemeinsamen Vereinbarung aller, dass genau diese Kunst Relevanz besitzt.
Und im Blickwinkel. Wir sind eine optisch getriebene Spezies. Aus dem Auge aus dem Sinn gilt nicht nur für Kleinkinder. Wir konstruieren Realität über den Sehnerv, viel mehr als über Fühlen oder Hören. Iconic Turn und so. Nimmt man dem Iconic Turn nun die Motive, ist er dann noch existent? Oder gilt Wazlawicks Verdikt, man könne nicht nicht kommunizieren, auch in der Kunst? Man kann nicht nicht abbilden. Ist Malewitsches Schwarzes Quadratnun Naturalismus, Symbolismus, Abstraktion oder Vorstudie für die Farbfächer der Druckindustrie? Die Magie des Volltons fasziniert. Die Abwesenheit von Muster irritiert unser Gehirn, das stets nach Wiedererkennbarkeit fahndet. Die Wand anstarren: Oliver Mark hat der Redewendung wieder neues Futter gegeben – und mir den Wunsch, beim nächsten Museumsbesuch einmal alles im Schneidersitz zu betrachten.
Till Schröder, Chefredakteur der Marginalien und Inhaber des Gretanton Verlags
Pop-Up Exhibition with Alicja Kwade, Antje Blumenstein, Armin Boehm, Björn Dahlem, Erik Schmidt, Eva Grubinger, Eva-Maria Wilde, Frank Nitsche, Gabriel de la Mora, Gregor Hildebrandt, Hansa Wisskirchen, Isa Melsheimer, Kristina Nagel, Lisa Junghans, Ludwig Kreutzer, Olivia Berckemeyer, Hoischen / Mark , Marcel Duchamp, Manfred Peckl, Matthias Hesselbacher, Marten Frerichs, Sophia Scharma, Stephanie Kloss , Susanne Gollwitzer, Svenja Kreh, Tatjana Doll, Tine Furler.
Künstlerhaus Bethanien, Berlin
STUDIO 225 / BERCKEMEYER
Hatje Cantz, 2020
Page 241: Vicco mit Vampir-Schnuller, Berlin 2009. C‑Print on Kodak Endura Metallic. Ed. Kunstmuseum Wolfsburg
German
352 pages, 350 ills.
Hardcover
24,00 × 31,00 cm
ISBN 978–3‑7757–4799‑8
Kerber Verlag, 2019
Page 97. Ed. Bamberger Diözesanmuseum.
German
120 pages, 70 ills.
23,5 × 30 cm
ISBN 978–3‑7356–0631‑0
Texts and Images: Ernest Hemingway, Christian Hoischen, Leiko Ikemura, Michael Kunze, Bjørn Melhus, Isa Melsheimer, Christoph Peters, Michael Sailstorfer, Sibylle Springer and Martin Simons. Concept and Photographs by Oliver Mark. Edited by Oliver Mark. Design: Anja Steinig, studiof.de.
27. Juli–10. November 2019, kuratiert von Alexander Ochs and Dr. Holger Kempkens.
Mit u. a.: Marina Abramović, Ai Weiwei, Nobuyoshi Araki, Ernst Barlach, Georg Baselitz, Joseph Beuys, Valerie Favre, Katharina Fritsch, Leiko Ikemura, Wilhelm Lehmbruck, Via Lewandowsky, Oliver Mark, Olaf Metzel, Hermann Nitsch, Meret Oppenheim, Karl Schmidt-Rottluff, Andy Warhol.
Im Jahr 2011 hat der Künstler Oliver Mark Benedikt XVI. fotografiert. Im prunkvollen Goldrahmen präsentiert sich das Oberhaupt der katholischen Kirche jedoch nur ausschnitthaft. Lediglich die vor der Körpermitte gehaltenen Hände sind in der Aufnahme zu sehen. Die einzigartige Stellung des Papstes wird durch Pektorale und die ihm vorbehaltene weiße Gewandung verdeutlicht. Auch die in ihrer Gegensätzlichkeit sehr aussagekräftige Haltung seiner Hände trägt zur Charakterisierung bei. Aktiv ist die Linke in rhetorischem Gestus nach oben gerichtet. Die Rechte jedoch, die den goldenen Fischerring trägt, ist müde nach unten gewandt. Sowohl Ehre und Würde als auch die schwere Verantwortung, die mit diesem Amt verbunden sind, werden in eindrücklicher Weise in dem Porträt der Papsthände erfahrbar.
Der Fotograf Oliver Mark (*1963, Gelsenkirchen/Deutschland) inszeniert Prominente in ungewöhnlichen Posen. Sie zeigen ironische Kommentare zum Status der Abgelichteten, spielen mit Versatzstücken ihrer Lebens- und Arbeitswelt, wie bei dem Porträt der Bildhauerin Alicia Kwade, bei dem unklar bleibt, ob er sie in ihrem Atelier vor einer neuen Arbeit inszeniert, oder selbst die Kulisse seiner Aufnahme zusammenstellte.
Auch der Maler Clemens Krauss findet sich in einem kommentierenden Ambiente zu seinem Werk. Der Künstler, der mit pastos, direkt auf die Wand gemalten, gesichtslosen Masseninszenierungen bekannt wurde, lagert auf einem Bett, das aus einem Museumkontext stammen könnte. Um ihn herum Bilder von Krauss und ein blutrot durchtränktes Hemd, das an die Performance von Hermann Nitsch erinnert. Minutiös plant er den Prozess, der für den Fotografen für das Gelingen eines Bildes ausschlaggebend sei. Mit dem Zufall arbeitet der Künstler nach eigener Aussage selten. Als Stilmittel setzt Mark mitunter schwulstige Bilderrahmen als Motiv ein, die als Spannungsgeber, als Begrenzung und Botschaft fungieren. Sie erzeugte assoziative Nähe zur Altmeistermalerei, verstärken das mehrmals in sei- nem Werk wiederkehrende Motiv der Hände, wie die von Papst Benedikt, den er 2011 in Erfurt fotografierte. Als bekennender Christ (ZEIT, 2019) bearbeitet er auch immer wieder religiös orientierte Themen, wie die Schwarzweiß-Fotografie, in deren Zentrum ein Säugling, eingeschlagen in ein dunkles Tuch in den Himmel schaut. Von seiner Brust ausgehend strebt ein heller Bereich, der Blattwerk zu erkennen gibt und vermutlich durch eine Doppelbelichtung entstanden ist.
Katja Triebe, 2019