• der mensch ≠ animal rationale

    Georg Maria Roers SJ, No Show. Distanz Verlag, Berlin 2019, ISBN 978–3‑95476–281‑1.

    Oliv­er Mark hat zwei Gründe genan­nt, war­um er als Foto­graf arbeitet: „Entweder fuer Bilder oder fuer ein Hon­or­ar.“ Mir scheint, hier fehlen ein­ige wesent­liche Dinge. Dazu gibt er eben­falls beden­kenswerte Hin­weise. Auf der ein­en Seite bringt es sein Beruf mit sich, Cate Blanchett in einem Moment abzu­licht­en, wo sie schein­bar völ­lig entspan­nt in einem eng­lischen Club­ses­sel mehr liegt als sitzt. Ein­fach wie hingegossen.Die Eleg­anz des Raumes hat gegen die Aura dieser Schaus­piel­er­in nicht den Hauch ein­er Chance und verblasst. Auf der ander­en Seite weiß nur der Foto­graf: er hatte nur ein­en Ver­such­bez­iehung­s­weise drei Minuten, um das Bild zu machen. Dabei ist er immer auf der Suche nach ein­er per­fek­ten Form, einem in sich ruhenden Aus­druck. Über­lässt Mark alles dem Zufall? Er sagt, dass sei eher sel­ten. „Aber wenn der Zufall dann da ist, kann es ein Feuer­werk sein.“ Das Gegen­teil dav­on ist die Art und Weise wie etwa die Maler des Golden Zeit­al­ters in den Nieder­landen zu Werke gin­gen. Zum Beis­piel bei einem Jan Ver­meer. „Er drapierte ein­en Tischläufer auf den Tisch, erset­zte ihn durch das blaue Tuch. Er legte die Per­len in ein­er Reihe obenauf, arran­gierte sie zu einem Häufchen, dann wieder zu ein­er Reihe. Er bat die Frau aufzustehen, sich hin­zu­set­zen, sich anzulehnen,  sich vorzubeu­gen.“ Tracy Che­va­lier lässt die junge Magd Griet in ihr­em Buch Das Mäd­chen mit dem Per­len­ohr­ring (1999) in das Aller­hei­lig­ste des Künst­lers eindrin­gen. Sie beo­bachtet im Atelier, wie der Maler sorgfältig Szene für Szene arran­giert. Und ein­mal wagt sie das Unge­heuer­liche. Sie bringt – nicht nur aus ästhet­ischen Gründen – etwas Unord­nung in das Arrange­ment ihres strengen Meisters. Ihr heim­lich­er Blick in die Cam­era obscura lässt den Leser über­ras­cht zurück. Klingt, was die Schrift­s­teller­in hier bes­chreibt, wirk­lich so anders als die Schil­der­ung der Vorbereit­ung eines „shoot­ings“ von Oliv­er Mark? „In der Regel habe ich die Auf­nahme vor dem Shoot­ing mit meinem Assist­en­ten ein­mal kom­plett foto­grafiert. Da wird alles aus­probiert: Wie jemand stehen kön­nte, sitzen kön­nte, Schul­ter vor, wieder zurück, Kopf nach rechts, links, stopp, zu viel … Ich mache ein­en Licht­test, probiere her­um. Diese Vorbereit­ung kann bis zu zwei Stun­den dauern. Klingt nüchtern. Ist aber essen­zi­ell! Ohne Konzept wird es schwi­erig. Um zu impro­vis­ier­en, um noch bess­er zu sein, brauche ich etwas, das ich ver­wer­fen kann.“ Ein Foto­graf muss schnell und genau sein. Er soll­te flex­i­bel sein und den Mut dazu haben Fehler zu machen. Bei aller Genauigkeit geht es um die Fähigkeit, im richti­gen Moment ein­en wirk­lich ori­ginel­len Ein­fall zu nutzen, der auch mal alles über den Haufen schmeißt. Das kann her­risch wirken oder göt­t­lich. Der Mensch sei ein „anim­al rationale“ hat schon Mar­tin Luth­er in sein­er Gen­es­is­vor­le­sung for­mu­liert. Manch­mal reißt selbst der Geduldsfaden Gottes, falls es so etwas gibt. Am Ende der Sint­flut aber woll­te Gott die Erde nicht mehr ver­fluchen, obwohl das „Dicht­en und Tracht­en des mensch­lichen Herzens böse ist von Jugend auf“ (1. Mose 8, 21a). Erst danach segnet Gott Noah und seine Söhne, auf dass sie frucht­bar sei­en und – viel­leicht soll­te man das noch hin­zufü­gen – furcht­bar: „Furcht und Schreck­en vor euch sei über allen Tier­en auf Erden und über allen Vögeln unter dem Him­mel, über allem, was auf dem Erd­boden wim­melt, und über allen Fisc­hen im Meer, in eure Hände sei­en sie gegeben“ (1. Mose 9, 2). Der Mensch unter­wirft sich die Welt, in der er lebt. Zuwei­len redet er sie sich ohne jeg­liche Empath­ie schön. Leider! Es gilt als mensch­lich, wenn auch im bib­lis­chen Sinne ver­wer­f­lich. Wie ver­halte ich mich von Berufs wegen oder privat? Die Abgründigkeit unser­er Spez­ies bleibt unbe­greif­lich. Die Skala reicht von unge­heurer Bru­tal­ität bis zu hinge­bungs­voller Zärt­lich­keit. Zuwei­len legen Menschen per­sön­liche Bek­en­nt­n­isse ab, die nicht zwin­gend reli­giös sein müssen. Manch­mal sind sie es aber aus­drück­lich wie bei dem Kath­o­liken Har­ald Schmidt auf der Orgelem­pore des Köl­ner Doms, der unter ander­em aus­ge­bil­de­ter Kirchen­musiker ist, oder dem Innen­min­is­ter außer Dienst Thomas de Maiz­ière, der als Prot­est­ant Jesuitenschüler war. Je mehr Gegensätze Oliv­er Mark ins Bild set­zen kann, um so bess­er. Die erhöhte Span­nung wird in der Bild­find­ung sicht­bar. Die Sujets wech­seln und über­schneiden sich zuwei­len auf ern­ste, oft auf komis­che Weise. Welche Hei­lige Messe im barock­en Rah­men hält eigent­lich Andreas Golder? Ist er Maler, Hoher­priester der Kunst oder beides? Es ist die Aufgabe eines Porträt­fo­to­grafen, so viel wie mög­lich von den Untiefen eines Menschen sicht­bar zu machen, ohne seine Aura zu beschädi­gen – immer wis­send, dass er ledig­lich jemand ist, der im richti­gen Moment den richti­gen Ton fin­d­et, dam­it sich das jew­ei­lige „Mod­el“ wohl füh­len kann. Die richtige Ans­prache zu find­en ist also nicht nur für den Train­er ein­er Fußball­mannschaft wichtig. Die Schat­ten vorteil­haft ins Licht zu set­zen bleibt ans­pruchs­voll. Ob das bei Isa Melsheimer ein­fach­er ist, weil sie dem Foto­grafen auch privat sehr nahe steht? Welche schöne Frau würde freiwil­lig auf einem klein­en Pod­est aus Teer­pappe in wel­chem Ber­liner Bezirk auch immer vor bewölk­tem Him­mel im schwar­zen Som­merkleid mit golden­en High Heels stehen, um Super­girl zu lesen? Auf Melsheimer fol­gt Max­imili­an Jaen­isch, hier ohne Augen­licht und mit dop­pel­ter Stirn, dann eine Madonna, so der Titel. Und ikono­graph­isch gese­hen ist es wohl tat­säch­lich die Gottes­mut­ter mit Kind. Allerd­ings ist der Hei­li­genschein hier so vort­reff­lich aus­ge­prägt, dass selbst das Baby aus dem Staunen nicht mehr herauskom­mt. Es scheint ein Goldre­gen niederzuge­hen auf das Jesus­kind. Es ist kun­stvoll eingewick­elt in schwar­zen Stoff. Sei es die Madonna und ihr Sohn oder Nor­mal­s­ter­b­liche, ein weit­er­er Grund war­um Oliv­er Mark foto­grafiert, ist: er interessiert sich ein­fach für Menschen. Er ist maßlos neu­gierig. Und er agiert ohne Anse­hen der Per­son. Er ist aufgeregt wie ein Jag­dhund, der auf Beutezug geht. Er bew­er­tet nichts, son­dern er wer­tet die Per­son auf, die er ablichtet. „no show“ wirft ein­en ander­en Blick auf Schaus­piel­er und Künst­ler­innen, auf Politiker, Musiker, auf jeden, der oder die Oliv­er Mark vor die Kam­era bekom­mt. Dieser Vor­gang hat etwas Egal­itäres. Prom­in­ente kom­men nicht in Paparazzi-Mani­er zu Fall wie der fried­lich sch­lafende Will Smith etwa und ein weni­ger bekan­nter Künst­ler wird nicht gleich durch ein ein­ziges Foto ber­üh­mt. Wir erfahren oft wenig. War­um hat der Ber­liner Künst­ler Saâdane Afif ein oder sein Zim­mer vollgequalmt? Hat eine Nebel­maschine nachge­holfen? Wir sehen ein­en nachden­k­lichen Menschen, der auf einem Schaf­s­fell sitzt. Oder sehen wir ein­en Mann in ein­er Land­schaft im Mor­gen­nebel im Hoch­moor? Was sagt das Bild über den fran­zös­is­chen Objekt- und Install­a­tion­skünst­ler aus? Oliv­er Mark löst die Rät­sel, die uns seine Bilder aufgeben, nicht auf. Er lässt die Dinge bewusst offen, um der Betrach­ter­in oder dem Betrachter Raum für eigene Assozi­ation­en zu lassen. Wer die Bilder entschlüs­seln mag, kann es ver­suchen. Ob es voll­ständig gelingt? Die Gedanken mögen da ein­set­zen, wo wir uns die Frage stel­len, wie das jew­ei­lige Bild entstanden ist? Oder? Was ist die Geschichte hinter der Geschichte jedes ein­zelnen Bildes? Mark sch­eut sich in diesem Buch nicht, dem Porträt des angesagten Philo­sophen und Kul­turkritikers Sla­voj Žižek ein­ige schwar­ze Kre­ise hin­zuzufü­gen und mit vielen klein­en Punk­ten den Him­mel zu bedeck­en. Deswe­gen gilt er nicht gleich als ein fran­zös­is­cher Poin­til­list. Aber er spren­gt deut­lich das Nor­mal­maß dessen, was gemein­hin von einem Foto­grafen ver­langt wird. Der Kom­pon­ist Dirk von Lowtzow, Sänger und Gitar­rist bei der deutschen Rock­band Toco­tron­ic, wusste ver­mut­lich nicht, dass am Ende von ihm nur ein Kon­takt­abzug der Firma Kodak übrig bleiben würde, die sel­ber mit­tler­weile bereits Geschichte ist. Mark reiht den Musiker geschickt ein in die Reihe ein­er ander­en Geschichte, näm­lich die der Rock­musiker. Dass das Ver­gan­gene immer neu erzählt wer­den muss, darüber hat schon Oscar Wilde in seinem Text Der Künst­ler nachgedacht: „Eines Abends trat in seine Seele das Ver­lan­gen, ein Bild­nis zu machen: »Die Lust des Augen­blicks«. Und er ging in die Welt, nach Bronze zu suchen. Denn er kon­nte nur in Bronze den­ken.“ Der Bild­hauer macht sich auf die Suche. Aber es war keine Bronze zu find­en außer das Porträt auf dem Grab eines Fre­undes. Es soll­te ein Sym­bol nie endender Menschen­liebe sein und ein­er Menschensorge dien­en, die eben­falls nie endet. Der kur­ze Text schließt so: „Und er nahm das Bild­nis, das er gemacht hatte, set­zte es in ein­en großen Tiegel und gab es dem Feuer.“ Jet­zt kann etwas Neues entstehen. Mark den­kt nicht in Bronze, son­dern ist äußerst wendig. Im Übri­gen gehören Bronzen mehr oder weni­ger der Ver­gan­gen­heit an. Selbst Kan­z­ler­innen oder Bunde­spräsid­en­ten sind auf Lein­wand umgestie­gen und lassen sich am Ende ihr­er Tätigkeit malen. Zu Beginn ihr­er Amt­szeit wird immer ein off­iz­i­elles Foto ange­fer­tigt. Im Fall des Staat­sober­hauptes landet es dann in allen Amtss­tuben der Repub­lik und in den aus­ländis­chen Botschaften. Diese Bilder sind meistens lang­wei­lig, weil sie bestim­mte Vor­gaben erfül­len müssen. Deshalb hat es Marks Bild von Bunde­spräsid­ent Joachim Gauck im Rosen­garten in kein off­iz­i­elles Gefilde geschafft. Das gilt auch für das Dop­pel­porträt des Schaus­piel­ers Lars Eidinger. Es ist sehr viel aufre­gender als off­iz­i­elle Theat­er­fo­tos. Wird hier nur der Schat­ten sein­er Per­son gezeigt? Links der Mensch, rechts die Maske, die Rolle, das Amt, kurz: die per­sona. Hier kom­mt die anti­ke Vor­stel­lung dieses Wor­tes zum Aus­druck. Alle Menschen haben ein­en bestim­mten Charak­ter, der nicht immer mit dem Amt, das er oder sie innehat, gleichzu­set­zen ist. Jür­gen Beck­er dichtete ein­mal: „Nachmit­tags hat mir zerkratzt / ein alter Ast die Stirn die Augen­haut / Es hat seit den Frösten nicht so geblitzt / bis in das Ver­las­sen­sein den ziehenden Abend.“ Schauen wir auf eines der Selb­st­por­traits von Oliv­er Mark, wo er sich mit der Künst­ler­in Birgit Dieker abbil­det. Der Foto­graf bleibt unter der zerkratzen Maske ver­bor­gen. Ein ungewöhn­liches Bild, das uns zeigt, der Foto­graf ist so oder so anwesend, auch wenn wir ihn nicht sehen. Wir kön­nten auch sagen, Gott ist so oder so anwesend, auch wenn wir ihn nicht sehen. Beide sind Schöp­fer schön­er Dinge. Beide schaf­fen den Menschen immer wieder neu, zei­gen ihn von sein­er besten Seite. Hier kom­mt ein Konkur­ren­zver­hält­nis zum Vorschein zwis­chen Gott und dem Künst­ler, das sich bis heute forts­chreibt. Wie tra­gisch die Geschichte ver­laufen kann, wenn ein bedeu­tender Künst­ler in einem Porträt die tat­säch­liche Schön­heit eines Menschen abbil­det, ist in Oscar Wildes ein­zi­gem Roman nachzulesen: Das Bild­nis des Dori­an Gray. Manch­mal mutet der Reigen dieser Porträts an wie der Film Die fabel­hafte Welt der Amélie (2001).Es begegnen uns bekan­nte und unbekan­nte Gestal­ten, die mit Mit­teln der Ironie (die Stiefel von Oliv­er Mark), der Ver­frem­dung (die Päp­stin), der Über­höhung (Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jac­ob Phil­ipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Gut­ten­berg), des Under­state­ments (Mia Far­row), der Übermalung (Mar­cel von Eden und Mat­thi­as Brandt), des Zit­ats (Otto von Habs­burg auf dem flie­genden Tep­pich) ins Bild geset­zt wer­den. Im Film trifft Amélie immer wieder auf Nino Quin­cam­poix, ein­en Sammler von wegge­wor­fen­en Bildern aus Fotoauto­maten. Als Amélie das Album fin­d­et, das er ver­loren hat, erken­nt sie in ihm ein­en Seelen­ver­wandten und ver­liebt sich in ihn. Möchte man sich in den ein­en oder die andere der Porträtier­ten ver­lieben? Etwa in Max Raabe oder Mar­ilyn Man­son, die auf einem Bild erschein­en, obwohl der Stil ihr­er Musik Wel­ten aus­ein­an­der­liegt? Oder sol­len wir die Musiker­in Rita Ora anbeten, der­en Abbild Mark zer­schneidet wie Lucio Fontana einst seine Schnittb­ilder? In welche Welt will uns der Foto­graf ent­führen? Er dringt ein in Hotels, Ateliers, auf Bühnen, in König­spaläste und polit­ische Areale, sog­ar in das Haus eines russ­is­chen Olig­archen, alle so gut gesich­ert wie die neue Zen­t­rale des deutschen Geheim­di­en­stes auf der Chausseestraße in Ber­lin. Was das Büro klei­hues + klei­hues ent­wor­fen hat, wird im Netz so darge­boten, dass sich­er niemand daraus sch­lau wird. Alles sieht irgend­wie immer gleich aus. Oliv­er Mark macht in sein­er Kunst das Gegen­teil. Bei ihm ist alles auf erfrischende Weise immer wieder neu. War­um? Weil wir Menschen eben noch viel geheim­nisvoller sind als jeder BND und jeder andere Geheim­di­enst. Das gilt ins­beson­dere für Menschen, die Kraft ihres Amtes unend­lich oft foto­grafiert wer­den. Man glaubt, man kenne sie, so das Credo der Regen­bo­gen­presse. Mark über­ras­cht uns gerne auch sub­lim, ins­beson­dere in der Folge sein­er Bilder. Frau Merkels Raute geht seinem Kreuzes-Entwurf voraus, aus dessen Mitte die Hände sich öffn­en. Dem Porträt des Künst­lers Jonath­an Meese mit Napo­leon­hut fol­gen die Hände von Papst Bene­dikt XVI. Sein Gesicht wird erst gar nicht gezeigt, weil es ohne Zweifel schon zu oft ver­öf­fent­licht wurde. Wir erkennen ihn an seinem Fisc­her­ring an der recht­en Hand, der bis heute nicht zer­stört wurde, was sonst die Regel wäre. Die Rechte erscheint erdenschwer und weist auf der Höhe der weißen Schärpe nach unten, während die Linke frei schwebend Erklärungen abgibt. Das soll­te jeder Papst können, selbst wenn die Botschaft nicht immer leichte Kost ist. Darauf weist die Linke auch hin, denn Dau­men und Zeigefinger schein­en das Pek­t­or­ale, das Brustkreuz, fast zu ber­ühren. Im näch­sten Bild gre­ift Oliv­er Mark eine Kom­pos­i­tion von Helmut New­ton auf und erweit­ert sie. Mark hat ein Gemälde von Ernie Luley Super­star aus sein­er Sammlung einge­fügt: die Päp­stin. Wir sehen eine Frau von hin­ten, die ein weißes Pille­olum trägt. Das Mod­el bleibt anonym und trägt ein­en teuren Nerz und High Heels. Es fol­gt ein Bruch. Wir sehen, wie Mas­kierte eine alte Fab­rik ober­halb vom Pren­zlauer Berg beset­zen. Im Atelier sind keine Arbeit­er mehr zu sehen, son­dern Künst­ler. Ist die Beuyssche Rech­nung Kunst = Kapit­al aufgegan­gen? Peter Wei­bel hat längst nachgew­iesen, dass sowohl die Beuyssche The­or­ie als auch die des neokon­ser­vat­iven Ökono­men Gary­Beck­er, in seinem Buch Human Capital(1964), mit der The­or­ie vom mensch­lichen Kapit­al fehl ging. Danach sei jedes Indi­vidu­um sein eigen­er Produzent. Nach Wei­bel wurde der Mensch in beiden Fäl­len zum Kapital.[1] Wenn auch das Kapit­al mehr und mehr die wichtig­sten Koordin­aten unseres polit­ischen Sys­tem zu sein schein­en, so bleiben Künst­ler­innen und Künst­ler und der­en Kunst immer auch der not­wendige Sand im Getriebe. So jeden­falls ver­stehe ich die Bilder von Mark. Eco´s Bett mit Kreuz­worträt­sel, Buch und Arbeit­stasche macht die Lit­er­at­ur stark und ruft uns Das offene Kunstwerk (1962) oder seine Ein­führung in die Semi­otik (1968) und seine Romane in Erin­ner­ung. Eco sel­ber taucht nicht auf. Das Kunstwerk über­lebt sein­en Schöp­fer. Bei den Dosen und Bech­ern, die die Zuschauer auf den Absper­rgit­tern abgelegt haben, ist es anders. Sie über­leben nicht. Sie wer­den bald abger­äumt. Noch bilden sie ein­en schön­en Kon­trast zum eleg­anten Schriftzug am Hause des Juwe­l­iers Carti­er in Par­is. Und sie geben der Lux­us­marke ein­en Touch von Under­ground. Auf den ersten Blick kön­nte hier eine Party stat­tge­fun­den haben. Der rote Tep­pich wurde schon ein­ger­ollt. Die ein­zelnen Gäste mussten gar nicht mit aufs Bild. Die Dekadenz des Abends scheint so oder so in der Luft zu lie­gen. Dam­it spielt der Foto­graf. Aber – der Empfang hat gar nicht stat­tge­fun­den. Es sind die Über­reste der Zaungäste der Tour de France 2007. Selbst wenn Oliv­er Mark uns nur banale Gegen­stände zeigt, stellt uns der Foto­graf den gan­zen Menschen vor Augen.     Dam­it unter­läuft er das Prin­zip der Porträt­fo­to­grafie, was ins­beson­dere für Künst­ler, Philo­sophen, Schaus­piel­er und Musiker aus­ge­sprochen gut funk­tioniert. Um die Begier­den der Fans zu befeuern geben sich Diven gerne den Hauch des Unnah­bar­en. Es kann auch ein Schutz­schild sein, um sich ein wenig Privat­sphäre zu bewahren. Bei Mark wird der Schlei­er dieser Unnah­barkeit selbst bei Akt­b­ildern nicht gelüftet. Das Ferne liegt Oliv­er Mark nicht sel­ten nah. Camer­on Car­penter foto­grafiert er nicht an sein­er ber­üh­mten Orgel, während er gen­i­al­isch die Tasten schlägt und seine Füße auf den Pedalen tan­zen. Mark bit­tet sein­en Per­son­al Train­er sich nackt auf das Genie in Frack und Fliege zu legen. Beide lie­gen am Boden. Auf einem weit­ern Bild liegt Car­penter sel­ber nackt auf dem Sofa. Ein Glas Milch sor­gt dafür, dass wir sein Gemächte nicht sehen. Mark erzählt gerne von den Ein­fäl­len während des Shoot­ings. In beiden Auf­nah­men sor­gt ein blaues Schaf­s­fell für ein irrwitzig manier­istisches Bild. Der Foto­graf sitzt oft zwis­chen zwei Stüh­len. Ein­er­seits kom­mt er den Aufträ­gen sein­er Kun­den nach, ander­er­seits liebt er seine künst­lerische Freiheit und bleibt ihr treu. Markus Lüpertz hat diese Span­nung ein­mal so bes­chrieben: „Die Auftragge­ber können sagen: Mach eine Kreuzi­gung, aber wie ich sie darstelle, ist meine Geschichte. Ich bin in diesem Moment nicht Gottes Erfül­lungs­ge­hil­fe. Da bin ich – bei aller Got­tgläu­bigkeit – gottlos, weil über Gott noch das Genie steht, der Künst­ler.“ Sol­che dandy­haften Sätze hatte Emil Schu­mach­er als Mit­glied des Ordens Pour le mérite für Wis­senschaften und Kün­ste nicht nötig. Sein­en Kampf als Maler des Informel führt er völ­lig souver­än mit sein­en lan­gen schwar­zen Pin­seln bis in alle Ewigkeit weit­er. Es bleiben viele Fra­gen. Es ist ein Fest für unsere Syn­apsen und Neur­o­trans­mit­ter. Stumm bleiben die Bilder für alle, die keine Sinne haben für Abgründe und schwar­zen Humor, für Schick­sal und Mensch­liches bez­iehung­s­weise All­zu­mensch­liches, für Über­mut und das Dionys­is­che, das in den Kün­sten weit­er­lebt.  War­um weint der Künst­ler Via Lewan­dowsky? Haben wir Dieter Haller­vorden jemals so ver­let­z­lich und majestät­isch zugleich gese­hen? Ver­mut­lich nicht. Mark bleibt empath­isch und hin­ter­gründig. Den deutschen Autor und Regis­seur Thomas Har­lan zeigt er uns im Roll­stuhl in sein­er Heimat im Ber­cht­es­gaden­er Land. Mia Far­row trägt ein Holzkreuz und erin­nert mehr an eine schwäbis­che Haus­frau als an eine Schaus­piel­er­in aus dem Film Mid­sum­mer Night’s Sex Com­edy von Woody Allen. Sie wirkt hier sehr nachden­k­lich und nicht so glück­lich wie bei der Pulitzer Pre­is-Ver­lei­hung 2018. Zit­iert das Bild vom Künst­ler Wolfgang Lug­mair den ber­üh­mten Sieb­druck von Andy War­hol Gold Mar­ilyn Monroe[2], die ber­üh­m­teste Ikone der amerik­an­is­chen Pop­kul­tur ein­er mel­an­chol­ischen Diva? Muss man dem armen Ralf Zier­vo­gel wirk­lich ein­en Zier­vo­gel vom Weih­nachts­baum an die Nase klem­men? Die Ant­wort von Oliv­er Mark lautet sch­licht­weg: „Ja!“