• Oliver Mark – Social Stills

    Carolin Hilker-Möll, No Show. Distanz Verlag, Berlin 2019, ISBN 978–3‑95476–281‑1.

    Wer sind wir und wenn ja, wie viele? Was möcht­en wir sein, was macht uns aus, wie wollen wir gese­hen wer­den? Oliv­er Mark ist ein Meister der Menschen-Foto­grafie. Seine Porträts erzäh­len Geschicht­en von Ver­frem­dung, Über­la­ger­ung, Zer­split­ter­ung, Auf­spal­tung, Dop­pe­lung, Ver­schnürung, Ver­pack­ung, Schau-Spiel – und geben dabei oft mehr pre­is als gewollt, sowohl über den Porträtier­ten als auch den Foto­grafen. Die sorgfältig inszen­ier­ten Momen­tauf­nah­men weis­en als „social stills“ über sich hinaus: Sie ana­lysier­en den Menschen, sie verorten seine Rolle in der Gesell­schaft, es sind Spiegel­b­ilder. Oliv­er Mark ist ein Menschen-Sammler: Künst­ler, Maler, Bild­hauer, Schaus­piel­er, Musiker, Philo­sophen, Politiker, Theat­er- und Film­re­gis­seure, Schrift­s­teller, Modedesign­er, Fam­i­li­enauf­s­tel­lungen… Immer fin­d­et er den beson­der­en Moment, man spürt die Ver­bindung von Foto­graf und Gegenüber. Konzentrierte Nähe wech­selt sich ab mit fast bedeu­tung­süber­laden­en Inszen­ier­ungen und gewollt beiläufi­gen Bildern. Oliv­er Mark ist ein Rah­men-Künst­ler. Durch sein ges­amtes foto­grafisches Werk zieht sich der Bilder­rah­men als Motiv, als Stilmit­tel, als Span­nungs­ge­ber, als Begren­zung und Botschaft. Sei es das kun­stvolle Still­leben der leer­en Rah­men, die mit ihren schwar­zen Flächen auf das titel­gebende „Nicht-Erschein­en“ ver­weis­en oder das Arrange­ment sein­er Arbeiten in üppig ver­gol­de­ten Barock- oder anti­ken Ovalrah­men: Die dadurch erzeugte assozi­at­ive Nähe zur Alt­meister­malerei – ver­stärkt durch das immer wieder­kehrende Motiv der Hände oder durch Van­itas-Zit­ate im Bild – ver­fehlt ihre nobil­it­i­er­ende Wirkung nicht, gerade auch wenn sie wieder iron­isch gebrochen wird. Oliv­er Mark ist ein Charak­ter-Such­er. Da, wo er fündig wird, wo er am meisten bei sich ist, am stärk­sten, am dich­t­esten, da wird ein Gesicht zum Ant­l­itz, in dem sich unsere Zeit spiegelt. Mit Wucht trifft den Betrachter die Intim­ität des Moments und man ist froh, diesen Moment teilen zu dür­fen. So bei Louise Bour­geois, die Oliv­er Mark 1996 als 85-jährige in New York foto­grafiert: Ihr Gesicht ist eine Landkarte ihres Lebens, jeder Kampf hat seine Spuren hin­ter­lassen. Die Augen fast geschlossen, der Fok­us liegt auf den Händen der großen Künst­ler­in, Aus­druck ein­er Epoche. Wir sehen ein­en „Menschen des 20. Jahrhunderts“.