Delivery Hero â Isa Melsheimer and Oliver Mark
18.08.2022â15.09.2022
Blickdicht im Glasdickicht
Gibt es etwas zu sehen und zu bewahren, schlĂ€gt die Stunde der Vitrine. Der Glaskasten als Panic Room der Museologen, am liebsten Panzerglas, UV-Schutz und Vakuum. Konservierung wie im Marmeladenglas. Schutz vor Zerfall ist unbedingt löblich, doch erfahren Objekte ihren musealen, respektive gesellschaftlichen Wert meist durch Nutzungsspuren: abgewienerte OberflĂ€chen, Scharrten, VerfĂ€rbungen, Verblichenes, Abgebrochenes. Der Zahn der Zeit nagte, und wir fĂŒhlen Verbundenheit mit der Vergangenheit. Er erst macht Geschichte fĂŒr uns wirklich lebendig.
Zum anderen der Blick des Betrachters. Er tastet die OberflĂ€che prĂŒfend ab, in der Vitrine aber schaut er auch hindurch, sieht den Raum dahinter, den Kontext der Jetztzeit. Das Glas spiegelt die Umgebung, den Betrachter, auch das Selbst, wenn wir hier kurz kĂŒchenpsychologisieren dĂŒrfen. Die Vitrine lĂ€dt zum visuellen Dialog. Ob der einspurig und mehrspurig verlĂ€uft, hĂ€ngt am Betrachter.
Oliver Marks Fotografien und Isa Melsheimers Skulpturen interessieren dieser stĂ€ndige Blickwechsel. Das Objekt der Begierde ist nicht in der Vitrine, es ist die Vitrine und ihre Ăberraschungen offenbarende Blickdichte. Dichte nicht im Sinne von Sichtschutz, sondern von erhöhtem Schauwert, der HĂ€ufung der möglichen Blickwinkel. Sind es bei Mark unerwartete Bildausschnitte, die scheinbar willkĂŒrliche Darstellung von Teilen der Vitrine, auch anderen Sichtgrenzensetzer, wie FlugzeugflĂŒgel, Verpackungen, collagierte HĂ€nde, ist es bei Melsheimer die Paarung Beton und Glas. Beton als Sichtverhinderer, Glas als Blickermöglicher. Ihre Serie »Seeds« beispielsweise hinterfragt die Funktion der Vitrine auf eigene Weise: GlaskĂ€sten auf Betonsockeln, in denen Samen ein luftdicht abgeschottetes Eigenleben entwickeln, einzig gespeist aus Sonnenlicht, Erde und durch Kondensation entstehende FlĂŒssigkeit. Hier ist nichts konserviert, hier lebt etwas, aber unter dem Blick des Betrachters. Ich sehe, also lebst du. Die In-Vitro-Vitrine des Kunstmarkts.
Oliver Mark und Isa Melsheimer gehen dem Guckkasten auf den Geist. Wer kommt und schaut, erlangt ihn vielleicht, den blickdichten Durchblick im Glasdickicht.
Till Schröder, Autor, Chefredakteur der Marginalien â Zeitschrift fĂŒr Bibliophilie und Buchkunst