Portrait des Fotografen als Portraitist

Christoph Peters, No Show. Distanz Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-95476-281-1.

Sowieso ist alles eine Frage des Lichts. Es fĂ€llt von links auf breiter Front in den großen Raum, der zugleich als Studio und BĂŒro, und Galerie dient. Genaugenommen mĂŒsste ich sagen: Es wĂŒrde fallen, denn der Fotograf, der mir barfuß in weißem T-Shirt und verwaschen grauer Hose die TĂŒr öffnet, hat vor den Fenstern im Mittelteil dichte, schwarze VorhĂ€nge zugezogen. Nur vorne, im Bereich des Schreibtischs, gleich hinter dem Eingang, darf das Licht ungehindert hereinbrechen, dann erst wieder am Ende des Raums, wo die Sonne jetzt, am frĂŒhen Morgen, eine Gruppe von drei EisbĂ€ren aus Porzellan je nach Blickwinkel ironisch oder dramatisch in Szene setzt. Sie stehen auf einem Sockel vor der ebenfalls schwarz verhĂ€ngten RĂŒckwand und brĂŒllen gemeinsam den Himmel an. Der Fotograf fragt, was er mir zu trinken anbieten darf? „Gern einen Espresso “, sage ich. Wenig spĂ€ter bringt er mir aus der KĂŒche den Espresso in einem MokkatĂ€sschen aus Meissner Porzellan. Ich kenne das Dekor, es heißt Reicher Hofdrache und wurde 1730 nach japanischen und chinesischen Vorbildern fĂŒr die königliche Tafel August des Starken entworfen, bis 1918 war es ausschließlich dem Hof vorbehalten. Offenbar teilen wir die Liebe zum Porzellan – zu Figuren und Geschirr gleichermaßen. Ich kenne sonst niemanden, der sich dafĂŒr begeistern kann. Die Wand den Fenstern gegenĂŒber ist bis unter die Decke mit Bildern gefĂŒllt – hauptsĂ€chlich zeitgenössische Maler, die jedoch geradezu entgegengesetzten Ă€sthetischen Position zu folgen scheinen: Gestische Abstraktion findet sich neben Figurativem, poetisch Surreales folgt auf collageartige Kompositionen. Dazwischen Fotografien, ein Barockportrait, sowie eine alte Madonnenfigur aus farbig gefasstem Holz. Auf dem Bord darunter Kleinplastiken und ein sauber prĂ€parierter PferdeschĂ€del. Fast der gesamte Boden im hinteren Teil wird von einem antiken Heriz Teppich in warmen Rot-, Beige und Blautönen bedeckt, so dass ich mich endgĂŒltig wie zu Hause fĂŒhle. Er endet vor einem breiten Ledersofa, das zugleich als Andeutung eines Raumteilers dient. Hier und da ein antiker Stuhl oder Tisch, jedes StĂŒck einem ebenso eigenwilligen wie undogmatischen Geschmack entsprechend ausgewĂ€hlt.„Lass uns kein Gebrauchsportrait machen, sondern etwas anderes versuchen“, hatte ich dem Fotografen am Telefon gesagt. „Ist mir recht“, hatte er geantwortet. Ich bin in einem graugrĂŒnen Cordanzug gekommen und habe einen Rollkoffer voller Kleider mitgebracht: den Fez, den mir mein tĂŒrkischer Sufi-Sheikh vor zehn Jahren aufgesetzt hat, dazu weite osmanische Hosen und das passende Hemd; Kurta Shalwar – die traditionelle pakistanische Kleidung –, mit buntem Schal und Turban; dann den Kimono, den ich bei der japanischen Teezeremonie trage. Außerdem habe ich einen pakistanischen Gebetsteppich, meinen Tesbih und den japanischen FĂ€cher dabei. Der Fotograf reagiert nicht im Geringsten verwundert oder gar befremdet, als ich ihm zeige, was sich im Koffer befindet, im Gegenteil: Er scheint es völlig normal zu finden, dass jemand derlei Dinge fĂŒr eine Portrait anschleppt, das keineswegs der AnkĂŒndigung eines Maskenballs oder einer Faschingssitzung dient, wĂ€hrend ich mir in diesem Moment die Frage stelle, ob es KostĂŒmierungen, IdentitĂ€ten oder doch Versuchsanordnungen sind? Ich denke: Vielleicht macht er deshalb so gute Portraits, weil er sein GegenĂŒber nicht wertet, sondern einfach nur hinschaut, ruhig und aufmerksam, mit der melancholischen Distanz dessen, der schon viel gesehen hat. Der Fotograf sagt: „Ich nehme lieber Tageslicht – ohne Blitz“. Das hinwiederum erstaunt mich, ich hatte eher mit einer computergesteuerten Anlage aus hintereinandergeschalteten Blitzen und Reflektorschirmen gerechnet, mit der jede Sommersprosse auf meiner Nase porentief ausgeleuchtet worden wĂ€re. Die Ruhe, mit der er den Grauverlauf auf einem großen Papierbogen fĂŒr den Hintergrund ausrichtet, die VorhĂ€nge ein StĂŒckchen weiter zuzieht, damit das Licht den richtigen Weg nimmt, die Position der beiden Hocker festlegt – einen fĂŒr mich und einen fĂŒr sich –, das Stativ samt Kamera positioniert, ĂŒbertrĂ€gt sich auf mich. „Ich wĂŒrde gern einfach mal den Fez mit dem Anzug probieren“, sage ich. „Es gibt ein Portrait des russisch-jĂŒdischen Schriftstellers Essad Bey, der mit siebzehn zum Islam konvertiert ist, aus den 20er Jahren, da sitzt er genau so gekleidet im CafĂ© Kranzler, und es sieht irgendwie schrĂ€g aus.“ Der Fotografen nickt: „Finde ich gut“, sagt er. Der GrĂŒnton meines Anzug bildet mit dem dunklen Rot des Fez, dem hellblauen Hemd und der gestreiften Krawatte, einen schönen Klang. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, will er hauptsĂ€chlich Schwarzweißbilder machen.Draußen schieben sich Wolken vor die Sonne, mit einem Mal ist es einige Stufen dunkler im Raum, das Licht nicht mehr scharf sondern gestreut. WĂ€hrend ich erzĂ€hle, wie ich an die unterschiedlichen KleidungsstĂŒcke gekommen bin, was sie fĂŒr mich bedeuten, bei welchen Gelegenheiten ich sie benutze, ist der Fotograf damit beschĂ€ftigt, das Licht an dem Platz, auf dem ich sitzen soll, den verĂ€nderten Gegebenheiten am Himmel anzupassen. Jede VerĂ€nderung der Vorhangposition hat Auswirkungen auf den Hintergrund, auf die Schatten und Linien in meinem Gesicht. Ich lehne mich etwas vor, rĂŒcke ein StĂŒck nach links. Alles, was er tut, wirkt seltsam beilĂ€ufig, hat nichts von der ĂŒberspannten Erregung Hektik, die man in einem Fotostudio erwartet.  Noch immerscheint es, als wĂ€re das, worĂŒber wir reden, das Eigentliche, und die Bilder, die gemacht werden sollen, stellten eher ein Nebenprodukt dar. Mein Blick bleibt an einem Louis XVI Sessel mit orangerotem Samt hĂ€ngen, der in der hinteren Ecke steht, und den ich vor lauter Kunst ĂŒbersehen hatte. Mir fĂ€llt das Foto von Essad Bey im CafĂ© Kranzler wieder ein: „Lass uns doch den nehmen, das wĂ€re vielleicht lustig“, sage ich und deute auf den Sessel. Ich sehe im Gesicht, den Augen des Fotografen, wie er die Vorstellung von mir mit dem Fez im Anzug auf dem Sessel mit der Idee des Bildes in seinem Kopf vergleicht, sehe, wie sich Skepsis und EinverstĂ€ndnis abwechseln. Schließlich willigt er ein, und wir tauschen meinen Hocker gegen den Sessel aus. Ich sitze jetzt etwas niedriger als zuvor, so dass er Vorhang, Hintergrund und Stativ neu justieren muss. „Warte mal einen Moment“, sagt er und verschwindet in die KĂŒche. Ich höre das Mahlwerk der Espressomaschine, dann das Brummen, wĂ€hrend der Kaffee durchfließt. Mit einem anderen, offenkundig ebenfalls kostbaren MokkatĂ€sschen in der Hand kehrt er zurĂŒck. Es hat eine hohe Biedermeierform, weiß mit senkrechten Goldstreifen und drei kleinen LöwenfĂŒĂŸen. „Du musst den Kaffee nicht trinken, aber vielleicht kannst du die Tasse vor der Brust halten“, sagt er.  In diesem Moment bin ich ganz sicher, dass Essad Bey auf dem Foto auch eine Mokkatasse in der Hand hĂ€lt – wenn nicht das gleiche Modell, dann zumindest ein sehr Ă€hnliches.„Wo kommt das her – welche Manufaktur?“ frage ich. „KPM“, sagt der Photograph. „Das passt doch perfekt“, sage ich.„Kannst du die Tasse noch ein bisschen nach vorn neigen, dass man den Kaffee auch sieht? Und den Kopf ein klein wenig nach rechts.“ Sein Blick auf mich, mein Blick in die Kamera, an der Kamera vorbei, auf ihn, wĂ€hrend der Verschluss klickt – wieder und wieder und wieder.Christoph Peters, No Show. Distanz Verlag, Berlin 2019.